Die Wogen gingen hoch im März 2003, als über eine vom Fürstenhaus lancierte Initiative abgestimmt wurde. Statt über die präsentierten Verfassungsinhalte zu diskutieren, lenkte der österreichische Leiter der fürstlichen Abstimmungskampagne die Diskussion bewusst in Richtung «Monarchie ja oder nein».
Bei Verfassungsänderungen in Liechtenstein dreht sich die Frage oft darum, wer das Sagen hat. Aber das ist weiter kein Problem, denn in Artikel 2 der Verfassung heisst es: «Die Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volke verankert und wird von beiden nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt.» Konkret bedeutet das, dass die Verfassung jederzeit abgeändert werden kann und sich Fürst und Volk an die jeweils gültige Version der Verfassung zu halten haben.
Wiener Werber zog Strippen
Als im März 2003 über eine vom Fürsten lancierte Initiative abgestimmt wurde, wollten viele im Volk den über zehn Jahre dauernden Verfassungsstreit beendet wissen. Abgestimmt wurde unter anderem über eine Neuregelung der Richterwahlen, die Möglichkeit zur Abschaffung der Monarchie oder den Auszug von Gemeinden aus dem liechtensteinischen Territorium – alles Verfassungsänderungen, die zuvor keine Partei und niemand im Volk gefordert hatte, aber der Fürst von Liechtenstein unbedingt umgesetzt wissen wollte. Um für den Verfassungsvorschlag dennoch ein Ja an der Urne zu erhalten, engagierte das Fürstenhaus einen österreichischen Werbefachmann. Der deutete die Verfassungsabstimmung kurzerhand in eine Abstimmung «Monarchie Ja oder Nein?» um, obschon die Monarchie auch bei den Kritikern der Vorlage unbestritten war und ist.
2003 – Hemdsärmlige Aktionen
Entsprechend hemdsärmlig musste der eingeflogene Werber aus Wien ans Werk gehen, um die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner in Angst und Schrecken zu versetzen. In Anbetracht von zahlreichen Aussagen aus dem Fürstenhaus und einer intensiven Werbekampagne mit wegretuschiertem Schloss und der angeblich drohenden Republik,wähnten viele Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner die Monarchie in Gefahr und fürchteten sich vor den skizzierten Horrorszenarien. Je stärker die Abstimmung zur Vertrauensfrage über die fürstliche Familie und den Bestand der Monarchie hochstilisiert wurde, desto weniger wurde über die eigentliche Verfassungsreform diskutiert. Wer es dennoch wagte, die Vorlage aus dem Fürstenhaus zu kritisieren, wurde zu Unrecht als Gegner der Monarchie abgestempelt. Heute wissen wir: Das war heisse Luft. Die fürstliche Familie wird nie nach Wien umziehen, weil der Fürst einen Eid auf die Verfassung abgelegt hat, das Amt des Staatsoberhauptes mit Macht und Prestige verbunden ist und die Familie in Liechtenstein verschiedene Steuer- und andere Privilegien geniesst. Und Schloss Vaduz wird auch in den nächsten Jahrhunderten über dem Tal stehen, egal wie die kommende Abstimmung ausgeht.
2012 – Fürstenhaus: «Diskussion mit Anstand zu führen»
Die Chance, dass es im Vorfeld der Abstimmung über «Ja – damit deine Stimme zählt» gesittet zugeht, ist gross. Das Komitee hat seit Einreichen der Initiative stets betont, dass es grossen Wert auf eine inhaltliche und sachliche Diskussion der vorgeschlagenen Verfassungsreform legt. Und nach einigen unerfreulichen Vorkommnissen hat sich auch das Fürstenhaus mit deutlichen Worten an die Öffentlichkeit gewendet und darum gebeten, «politische Diskussionen mit Anstand zu führen».
Mündiges Volk entscheidet
Wenn das Liechtensteiner Volk an der Urne über die Einschränkung des fürstlichen Vetorechts entscheidet, geht es einzig und allein um diese Frage: Wer soll künftig bei Abstimmungen das letzte Wort haben – der Fürst oder die 19’000 mündigen Bürgerinnen und Bürger des Landes? Mit der Neuformulierung des Vetorechts werden die Volksrechte moderat gestärkt. Dabei bleibt die Monarchie und die Rolle des Fürsten unangetastet.
Liechtenstein: Kategorie 3
Das Initiative & Referendum Institute Europe (IRI Europe) hat 32 europäische Staaten in Bezug auf die direkte Demokratie untersucht und sie in sechs Klassen eingeteilt. Von der Avantgarde über die Demokraten bis zu den Hoffnungslosen und Schlusslichtern. 2002 wurde Liechtenstein in diesem Ranking zusammen mit der Schweiz in der Topklasse geführt. 2004, ein Jahr nach der Verfassungsabstimmung, fiel Liechtenstein von der Kategorie 1 in die Kategorie 2 zurück. Kurz danach erfolgte die Einteilung in die Kategorie 3 (Vorsichtige), zusammen mit Österreich, Luxemburg und Frankreich. Den Hauptgrund für diesen Abstieg sieht IRI Europe im Vetorecht des Fürsten, das dem Monarchen erlaube, das basisdemokratische Potenzial der Volksinitiative markant und nachhaltig zu schmälern.